Alkoholfreier Wein oder kein Wein?

Wein ist – vor allem in der Küche Mitteleuropas – unangefochten der wichtigste Speisebegleiter. Wer auf der Suche nach alkoholfreien Essensbegleitungen ist, kommt also auch an alkoholfreiem Wein nicht vorbei. Wie funktioniert die Herstellung alkoholfreier Weine, worin liegt ihre Schwierigkeit? Und was hat es mit den Proxys, den Wein-Alternativen auf sich?

alkoholfreier wein

Zum Essen gehört Wein, oder?

Ein aufwendig gekochtes Abendessen zuhause oder ein gutes Essen im Restaurant wird in Mitteleuropa so gut wie immer von einem Glas oder einer Flasche Wein begleitet. Schließlich ist Wein seit Jahrhunderten fester Bestandteil der europäischen Trinkkultur. Und auch im Zuge der Etablierung der Restaurant- und Hotelkultur des 19. Jahrhunderts festigte sich seine fast zeremonielle Rolle auf der Bühne des weiß bedeckten Esstischs. In den letzten Jahren aber werden alkoholfreie Essensbegleiter zunehmend gefragter und glücklicherweise gibt es auch in mehr und mehr Restaurants Alternativen zur Weinbegleitung, sodass diejenigen, die keinen Alkohol trinken wollen, nicht gezwungen sind, beim Mineralwasser zu bleiben.

Ich habe an anderer Stelle, etwa bei der Verkostung des Doppio Passo alkoholfrei, schon darauf hingewiesen, dass ich kein großer Freund alkoholfreier Weine bin. Der Prozess der Entalkoholisierung bringt das komplexe Geschmacksgefüge des Weins zu sehr durcheinander, sodass alkoholfrei Weine zu oft einfach nicht nach Wein schmecken – schon gar nicht nach einem guten Wein. (Auch wenn es da sicher Ausnahmen gibt und sich in den nächsten Jahren vermutlich auch noch einiges tun wird.)

Mich interessieren daher eher die sogenannten Proxys, also Wein-Alternativen, die ähnliche Aromen liefern und so hervorragende Essensbegleiter sind, aber eben keine Weine. Was es damit auf sich hat und welche Möglichkeiten die Proxys bieten, schauen ich mir im zweiten Teil dieses Artikels an. Zunächst soll es um die Verfahren und Schwierigkeiten der Entalkoholisierung von Wein gehen.

Wie kommt der Alkohol aus dem Wein?

Das alkoholfreie Bier hat seinen Siegeszug in den Getränkekellern und auf den Biertischgarnituren längst angetreten. Die Absatzzahlen steigen und das lange verbreitete Vorurteil, alkoholfreies Bier schmecke doch nicht und habe mit Bier nichts zu tun, ist lange widerlegt. Dagegen fristet der alkoholfreie Wein weiter ein Nischendasein – auch wenn die Nische wächst und wächst.

Dabei sind Techniken zur Entalkoholisierung von Wein schon recht lange bekannt. Denn schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine Nachfrage nach alkoholfreiem Wein. Auch damals schon wollten Weinliebhaber aus gesundheitlichen Gründen weniger Alkohol konsumieren, aber nicht auf ihren gebliebten Wein verzichten. Dies brachte den Winzersohn und Weinhänder Dr. Carl Jung dazu, über Möglichkeiten zur Entalkoholisierung von Wein nachzudenken. 1908 ließ er sich die erste Methode zur Entalkoholisierung von Wein patentieren, was ihn zum Erfinder des alkoholfreien Weins machte: die Vakuumdestillation.

Vakuumdestillation

Das von Dr. Carl Jung entwickelte Verfahren, das auch heute noch – unter anderem von seinen Nachfolgern in Rüdesheim am Rhein, wo etwa der von mir probierte Eins-Zwei-Zero entalkoholisiert wird, – sehr häufig zur Anwendung kommt, basiert auf der Idee, den Wein nur möglichst leicht erhitzen zu müssen, um den Alkohol zum Verdunsten zu bringen. Dr. Carl Jung hatte von Expeditionen im Himalaya erfahren, dass Wasser in großer Höhe schneller siedete und übertrug die Idee auf den Alkohol: Der Wein wird in einem Behältnis in Unterdruck versetzt. Dies führt dazu, dass der Alkohol schon bei einer Temperatur von unter 30°C verdunstet und so dem Wein entzogen wird. Auf diese Weise bleibt der Großteil der übrigen Stoffe des Weins – und damit auch der Aromen – unangetastet. Der Wein behält so einen Großteil seines geschmacklichen Charakters.

Membran-Verfahren

Nach einem ganz anderen Prinzip funktioniert das Verfahren der Entalkoholisierung mit Membranen. Hier wird der Wein nicht erhitzt, sondern er fließt durch eine Membran, die Bestandteile herausfiltert. Diese Membran hält größere Bestandteile auf, lässt kleinere aber hindurch. So fließen vor allem das im Wein enthaltene Wasser und der Alkohol durch die Membran hindurch. Wasser und Alkohol kann man nun, nachdem die übrigen Bestandteile des Weins – etwa für Aroma und Körper verantwortliche Stoffe wie Polyphenole, Tannine und Glycerin – auf der anderen Seite der Membran zurückgeblieben sind, problemlos mittels Destillation voneinander trennen, um anschließend das Wasser ohne Alkohol wieder mit den übrigen Bestandteilen des Weins zu vereinen.

Bei diesem Verfahren ist also keinerlei Erhitzung der Geschmacksstoffe des Weins nötig – ein eindeutiger Vorteil. Bei einer anderen Variante kommen hydrophobe Membranen zum Einsatz, die kein Wasser, aber den Alkohol hindurchlassen. Dabei fließt dann einfach der Alkohol aus dem Wein auf der einen Seite der Membran in das auf die andere Seite der Membran vorgehaltene Wasser herüber und wird so dem Wein entzogen.

Spinning-Cone-Column

Der Australier Andrew Craig hat das Verfahren der Spinning-Cone-Column (SCC), der sogenannten Schleuderkegelkolonne, ursprünglich für die Extraktion von Aromen in Lebensmitteln entwickelt. Inzwischen wird das Verfahren aber auch von vielen Herstellern alkoholfreien Weins eingesetzt. So auch bei der Herstellung des alkoholfreien Chardonnay des Weinguts A.Diehl. Wie auch bei der Vakuum-Destillation wird hier der Wein im Vakuum erhitzt. Zusätzlich wird er in einer Kolonne mit drehenden Einsätzen zum Rotieren gebracht, wodurch unterschiedliche Stoff- und Aromagruppen einzeln abgetrennt werden können.

In diesem Verfahren geht schon während der Abtrennung weniger von dem verloren, was man gern im Wein behalten möchte. Außerdem lassen sich Aromen, die ungewollt mit abgetrennt wurden nachher wieder zuführen. Eine nachträgliche Zuführung abgetrennter Aromen ist aber bei neueren Verfahren der Vakuum-Destillation ebenfalls möglich.

Alkoholfreier Wein oder entalkoholisierter Wein?

Wenn du schon einmal alkoholfreien Wein gekauft hast, oder die Flaschen im Laden angesehen hast, wirst du gemerkt haben, das auf dem Etikett oft verschiedene Angaben stehen: meist entweder alkoholfreier Wein oder entalkoholisierter Wein. Das hat mit den gesetzlichen Vorgaben der EU und Deutschlands zu tun. Während alkoholfreier Wein vorher als ein „Getränk aus Trauben“ galt, ist er seit dem 6. Dezember 2021 Teil des EU-Weinrechts, wird also auch rechtlich als Wein behandelt. Nach dem EU-Recht sind die gängigen Verkehrsbezeichnungen nun „entalkholisierter Wein“ oder „teilweise entalkoholisierter Wein“. Die so bezeichneten Getränke dürfen inzwischen auch nicht mehr mit Saccharose gesüßt werden.

Zusätzlich gilt nach nationalem deutschen Recht, dass entalkoholisierte Weine, die weniger als 0,5 %vol Alkohol enthalten, als zusätzlich zur Angabe „entalkoholisierter Wein“ noch die Bezeichnung alkoholfrei tragen dürfen. Wenn der Alkoholgehalt allerdings über 0,049 %vol liegt, ist die Angabe „< 0,5 %vol“ hinzuzufügen. Wir kennen das vom alkoholfreien Bier. Weine die über 0,5 %vol Alkohol aber weniger als 8,5 %vol enthalten, also nach EU-Recht „teilweise entalkoholisiert“ sind, dürfen zusätzlich die Bezeichnung „alkoholreduziert“ tragen.

Was passiert, wenn der Alkohol aus dem Wein ist?

Aber warum ist die Sache mit dem alkoholfreien Wein trotz aller modernen Verfahren zur Entalkoholisierung so kompliziert? Warum schmeckt alkoholfreier Wein so oft nicht wie erwartet? Das liegt vor allem an der im Vergleich zu anderen Getränken sehr komplexen Struktur der Aromen des Weins. Der Alkohol spielt im Wein nämlich für das Aroma eine zentrale Rolle. Nimmt man ihn heraus, gerät das Gleichgewicht der verschiedenen Geschmacksnoten ordentlich durcheinander. Zum einen betäubt der Alkohol unsere Geschmacksnerven, was den Säure-Geschmack des Weins reduziert. Daher macht es alkoholfreier Weinen häufig nötig, nachzusüßen. Zum anderen verschwinden einige der Aromen, man geht von bis zu 20% aus, im Prozess der Entalkoholisierung. Und mit dem Alkohol verändert sich oft auch die Konsistenz und der Körper des Weins. Das hat zum Beispiel damit zu tun, dass sich für den Wein-Geschmack wichtige Stoffe nicht so gut in Wasser lösen wie in Alkohol, etwa Phenole und Tannine.

Das Problem alkoholfreier Weine

Alkoholfreier Wein verliert mit dem Alkohol also weit mehr, als nur diesen Stoff: Die gesamte chemische Zusammensetzung wird durcheinander gewirbelt. Da ist es kein Wunder, dass alkoholfreier Wein viel zu oft nur an Wein erinnert, aber nicht wirklich nach einem (guten) Wein schmeckt. Doch es kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Alkoholfreier Wein ist – eben weil er das nicht ganz billige Verfahren der Entalkoholisierung durchlaufen muss – in der Herstellung teurer als alkoholhaltiger Wein.

Um die Marktpreise nicht zu hoch werden zu lassen und das immense unternehmerische Risiko zu reduzieren, setzten in der Vergangenheit viele Winzer bei alkoholfreien Weinen auf eher günstigere, weniger komplexe Ausgangsweine. Das macht sich dann natürlich im Ausgangsprodukt bemerkbar. Und das bei alkoholfreien Weinen ganz besonders: Der Entzug des Alkohols bringt die problematischen Seiten eines Weins oft ganz besonders in den Vordergrund.

In letzter Zeit haben einige Produzenten von alkoholfreiem Wein dem aktiv etwas entgegengesetzt. Sie nutzen nicht nur qualitativ hochwertigere Weine für die alkoholfreien Produkte, sondern berücksichtigen die Anforderungen alkoholfreien Weins schon bei der Sortenauswahl, dem Anbau und der Ernte. So versuchen sie die geschmacklichen Probleme, die bei der Entalkoholisierung entstehen, schon durch die Wahl und Behandlung des verwendeten Weins auszugleichen – eine vielversprechende Entwicklung!

Wein oder kein Wein?

Bei allen Problemen bei der Herstellung alkoholfreier Weine ist die Entwicklung der letzten Jahre unübersehbar. Ich bin, wie gesagt, noch immer kein großer Fan der im Moment auf dem Markt zu findenden alkoholfreien Weine, die neuesten Entwicklungen aber verdienen Respekt und eine genaue Beobachtung. Wer weiß, was alkoholfreier Wein in den kommenden Jahren noch an Überraschungen zu bieten hat! Bis dahin aber greife ich persönlich lieber zu den sogenannten Proxys, den Wein-Alternativen.

Getestete Weine und Wein-Alternativen

Die Welt der Wein-Alternativen

Wein-Proxys haben gegenüber entalkoholisiertem Wein einen echten Vorteil: Sie behaupten durch Aufmachung, Flaschendesign und Namen gar nicht erst, ein Wein zu sein. Sie müssen sich daher auch nicht am Geschmack des „Originals“ messen lassen. Das eröffnet unzählige neue Möglichkeiten verschiedene Geschmacksnoten zu erzeugen, die dann wiederum denen von Wein oft erstaunlich nahe kommen! So können manche dieser Wein-Alternativen durchaus Tannine vorweisen und haben oft ein beeindruckendes Finish, das alkoholfreier Wein so nicht aufweist. Die Wein-Proxys greifen dabei auf unterschiedliche Herstellungsverfahren und Getränketypen zurück, häufig basierend auf Fermentation. Gängige Grundlagen oder Inhaltsstoffe für Wein-Proxys sind:

  1. Kombucha: Durch die Fermentation entsteht hier ein Volumen, das alkoholfreien Getränken oft fehlt. Durch die Verwendung besonderer Teesorten oder das Zusetzen etwa von Säften bei der zweiten Fermentation lassen sich vielfältige Aromen erzeugen. Das macht Kombucha perfekt geeignet zur Herstellung von Wein-Alternativen.
  2. Wasserkefir: In der Herstellung dem Kombucha ähnlich, im Geschmack aber oft etwas milder, eignet sich auch Wasserkefir hervorragend als Grundlage für Wein-Proxys. Auch hier ist eine beeindruckende Geschmacks-Vielfalt möglich.
  3. Essig. Es mag zunächst etwas abschreckend klingen, aber auch mit sogenannten Trinkessigen lassen sich hervorragende Geschmacksergebnisse erzielen. Sie eigenen sich nicht nur als Alternative zu Dessertweinen, sondern auch als Zutat zu Cocktails oder eben Wein-Alternativen.
  4. Kwass. Das in Mittel- und Osteuropa verbreitete Getränk wird durch die Gärung von Brot hergestellt. Oft ist es recht süß und schmeckt etwa wie das hierzulande bekanntere Malzbier. Es lässt sich aber auch anders aromatisieren und kann, wenn es gut gemacht ist, spannende Säure-Noten hervorbringen.
  5. Fermentierte Traubensäfte: Die für den Wein grundlegenden Trauben lassen sich natürlich auch einfach anders verarbeiten, etwa durch eine Fermentation, an deren Ende ein alkoholfreies Getränk aus Trauben entsteht. Die so hergestellten Wein-Proxys schmecken mir persönlich sehr gut. Sie weisen oft eine beeindruckende Komplexität auf, die mit guten Weinen durchaus mithalten kann!

Entdecken, Probieren, Genießen!

Die Welt der Wein-Proxys entwickelt sich gerade rasant. Vor allem kleine Produzenten bringen nahezu wöchentlich neue Wein-Alternativen auf den Markt. Vor allem aus Skandinavien kommen ganz hervorragende Getränke, die mich zuletzt sehr verlässlich beeindruckt haben. Immer mehr Restaurants haben den ein oder anderen Nicht-Wein auf der Karte und auch gut sortierte Weinhandlungen verfügen immer öfter über eine eigene Ecke mit Alternativen zum Wein – häufig von lokalen Produzenten. Es lohnt sich also, hier die Augen offen zu halten und die Welt der Wein-Proxys Schluck für Schluck zu entdecken! Zum Glück ganz ohne Kater.

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